Immer viel zu früh

Unser Schlaf birgt ein großes Geheimnis, aber der Schlaf eines Kindes ist ein Mysterium. 


Habe ich eigentlich schon berichtet, dass mir der Traps unter der Spüle abgegangen ist? Nein? Allein dass sich unter „Traps“ südlich von Königs-Wusterhausen keiner mehr etwas vorstellen kann, ist ja irgendwie erwähnenswert. Hier muss man „Siphon“ sagen. Das hat griechische Wurzeln, während „Traps“ wahrscheinlich vom englischen trap = Falle kommt. Beides bezeichnet einen Geruchsverschluss im Abfluss. Ich ließ in der Küche das Wasser laufen und dachte noch: Was für ein seltsames Geräusch! Dann lief es auch schon unten aus der Spüle. Ich war natürlich nicht allein sondern hatte mein neugieriges Kind bei mir, welches die neu entstandenen Wasserspiele mit großem Vergnügen begrüßte. Ich versuchte fluchend alles aufzuwischen und den Lappen im Eimer auszuwringen. Das Kind versuchte juchzend, den Eimer umzukippen. Ich rief sehr laut und deutlich seinen Namen und sagte: HIER IST EIN MISSGESCHICK PASSIERT! Es half aber nichts. Ich musste das Wasser so schnell wie möglich loswerden und kippte den halb vollen Eimer im Spülbecken aus. Zur großen Freude meines Sohnes kam das Wasser folgerichtig sofort wieder zum Vorschein und verteilte sich neu auf dem Küchenfußboden. Nebenbei musste ich übrigens auch noch Kartoffeln kochen. 

So wie manche Sachen gänzlich ungerufen und unnötiger Weise auftauchen, verschwinden andere auf Nimmer Wiedersehen, wie zum Beispiel der Wal-Schnulli oder der Bären-Schnulli. Von einer Sekunde auf die andere sind sie weg. Natürlich steht auch irgendwann demnächst die Schnuller-Entwöhnung an, aber daran wollen wir noch gar nicht denken. Wir fragen uns nur, an welche Stelle des Raum-Zeit-Kontinuums unser Kind diese Dinge verschleppt. Was könnte man dort noch alles finden? 

Es gibt einen Ort im Universum, am dem die verschwundenen Gegenstände aufbewahrt sind. Zugänglich ist dieser Ort, so sagt man,  einzig und allein schlafenden Kindern. Sie bringen viele Sachen dorthin, aber sie können auch etwas von dort mit zurückbringen. Ja, sie haben eigentlich immer etwas dabei, wenn sie von ihren einzigen Reisen zurückkehren, die sie ohne uns unternehmen. Es ist niemals das, was wir vermissen. Es ist aber immer etwas, was wir dringend brauchen. Meistens beachten wir es nicht und darum werden wir immer nur ärmer, während uns die Kinder doch noch jeden Tag neue Schätze anhäufen. Und dann, später irgendwann, aber immer viel zu früh, kommt der Tag, an dem sie selbst keinen Zutritt mehr zu diesem Ort haben. Möge er in weiter, weiter Ferne liegen. 

Veröffentlicht in Elternzeit, Alltagsphysik am 06.08.2021 4:00 Uhr.

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