Jener legendäre Zweiwortsatz, den zu dokumentieren ich mich entschlossen habe

Wenn man sagt: „Das Internet vergißt nichts“, heißt das nicht, dass man dort irgendetwas, was man gerade gut gebrauchen könnte wiederfindet. Es heißt nur, dass irgendetwas, was man gerade gar nicht gebrauchen kann, zur Unzeit von anderen gefunden wird. Aber darum geht es gar nicht.

Während die sogenannten letzten Worte weit verbreitet und gut überliefert sind, hört man selten bis gar nicht von ersten Worten. Jeder weiß oder meint zu wissen, was Goethe als letztes von sich gegeben hat. Aber was hat er als erstes gesagt? Ich meine nicht das erste Lallen oder Brabbeln, sondern den ersten verständlichen Zweiwortsatz. Einwortsätze würde ich noch nicht gelten lassen, da kann man sich zu leicht täuschen und die Aussage ist auch nicht klar genug.  Bei meinem Sohn lautete das erste Wort zum Beispiel „Bier“. Aber was wollte er damit sagen? „Papa trinkt Bier“ ? Oder „Bier her“? Oder meinte er doch eher „Bär“? Zweiwortsätze sind zwar auch noch vieldeutig, aber die Richtung ist schon mal klar. „Mehr Licht!“ hätten schließlich auch Goethes erste Worte sein können. Überliefert sind sie aber als seine letzten. 

Schön waren auch die letzten Worte von Konrad Adenauer. „Da gibt es nichts zu weinen“ soll er gesagt haben. Am gleichen Tage erblickte ich das Licht der Welt. Aber auch von mir sind wieder keine ersten Worte überliefert, was einleuchtet, wenn man sich klar macht, dass am Anfang eines Lebens nicht feststehen kann, ob es sich am Ende gelohnt hat, irgendetwas zu überliefern. Falls noch jemand weiß, wer Martin Schulz oder auch Philipp Rösler sind, will man von denen heute vielleicht doch nichts mehr lesen. Bei Jesus lagen die Dinge wieder anders. Josef und Maria wussten zwar von Anfang an bescheid, standen aber eher in einer mündlichen Überlieferungstradition. Aufgeschrieben wurde erst gut einhundert Jahre später. Da sagen dann die einen so, die anderen wieder so.

Darum schreibe ich heute eben alles gleich auf. Wenn ich dann doch mal etwas nachlesen will, muss ich nur noch herausfinden, wo ich es hingeschrieben habe. Wie sich jetzt herausgestellt hat, ist das aber inzwischen ein Ding der Unmöglichkeit. Wenn man sagt: „Das Internet vergißt nichts“, heißt das nicht, dass man dort irgendetwas, was man gerade gut gebrauchen könnte wiederfindet. Es heißt nur, dass irgendetwas, was man gerade gar nicht gebrauchen kann, zur Unzeit von anderen gefunden wird. Wie dem auch sei. Unser Kind erwachte jedenfalls unlängst während einer längeren Autofahrt aus kurzem Schlummer und gab jenen legendären Zweiwortsatz von sich, den als seine ersten Worte zu dokumentieren ich mich als sein Vater entschlossen habe. Er lautete: „Mehr Keks!“

Veröffentlicht in Elternzeit am 28.08.2021 4:00 Uhr.

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