Wieder fröhlich

Es gibt einen Grund zum Feiern: Herzliche Glückwünsche und alles Gute zum Frauentag!


Kurz nachdem meine wunderbare Frau aus der Tür ist, sagen sie im Radio an, dass heute Frauentag ist. Das hätten sie auch ein bisschen früher machen können. Ich hätte ihr dazu gratuliert. Ich werde das nachholen, wenn sie wieder nach Hause kommt. Abgesehen davon, dass ich ohne diese ganz besondere Frau jetzt kein Kind hätte, wäre ich auch sonst eher nicht zu beneiden. Ich säße Abend für Abend allein mit einer Plüschmaus und schrieb oder redete mir mein Alleinsein schön. Außer meiner Arbeit würde ich nicht viel erleben und ich wäre so alt, wie ich aussähe. Im Kindergarten arbeiten bis auf den Hausmeister ausschließlich Frauen. Es sind ihrer eine ganze Menge und irgendwann weiß man nicht mehr, wen man schon beglückwünscht hat und wen nicht. Die beiden, mit denen ich direkt zu tun habe, schicken mich heute gleich nach dem Beglückwünschen unter einem Vorwand weg. Das Protestgebrüll meines Kindes endet diesmal schon nach relativ kurzer Zeit. Zwischendurch wird mir mitgeteilt, das Kind spiele friedlich. Dann werde ich gebeten mich zu verstecken, weil man hinaus in den Garten wolle. Auch das scheint heute gut zu funktionieren. 

Ich werde hier offenbar nicht mehr gebraucht. Die Chefin kommt vorbei und sagt, man werde sich melden, wenn mein Eingreifen notwendig werde. Ich weiß schon, was das bedeutet. Es hat Zeiten gegeben, da konnte eine Frau ohne Mann nicht überleben. Entweder sie blieb beim Vater oder sie wurde verheiratet. Der Mann war Ernährer, Versorger und Beschützer. Dass das so war, lag natürlich nicht an der Schwäche der Frau, sondern an den patriarchalen Strukturen der Gesellschaft. Diese Strukturen lösen sich gerade auf - und ich bekomme das nun zu spüren. Ich sitze allein, nervös und untätig im Kindergarten und warte, dass es endlich wieder etwas für mich zu tun gibt. 

In dieser für mich misslichen Situation ereignet sich nun ein kleines Wunder. Mein verlorener Sohn erinnert sich an seinen alten Vater und macht sich auf die Suche. Zu unserem Glück sind die Frauen eben Frauen und keine Männer. Sie fühlen Mitleid, sie erbarmen sich und zeigen dem Kind den Weg. Der Alte fällt auf die Knie und umarmt das Kind, dem die Freudentränen über die Wangen laufen. Das Erbarmen der fremden Frau aus dem Kindergarten geht nun nicht so weit, dass sie dem Mann wieder auf die Beine hilft. Dass muss er mit knackenden Knien schon alleine schaffen. Ich schaffe das auch und bin wieder fröhlich. Und dankbar. 

Veröffentlicht in Elternzeit, Kindergarten am 08.03.2022 13:20 Uhr.

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copyright: liedersaenger 2023

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