Doktor Neinrich

"Nein" bedeutet bekanntlich "Ja" und "Ja" heißt "Doch". Wer viel fragt, bekommt viele Antworten. Schlauer wird man davon aber nicht. 


Es war einmal ein kleiner Junge, der antwortete auf alles, was man ihn fragte immer nur mit „Nein“. Fragte man ihn, ob er rausgehen wolle, lautete die Antwort „Nein“. Ob er essen, trinken, schlafen wolle? Die Antwort war „Nein“. Ob er vielleicht spazieren oder natürlich auch in den Kindergarten gehen wolle? „Nein, nein, nein!“ Darum nannten ihn alle, die ihn kannten oder kennenlernten nur noch den kleinen Neinrich. Dabei war er nun keinesfalls faul oder gar untätig. Aber alles, was er machte, versah er nun mal mit einem negativen Vorzeichen. So trank er am liebsten keine Milch und aß auch morgens kein Müsli. Er schaute sich mit Begeisterung keine Bücher an und hörte voller Hingabe keine Musik. Und jedesmal, bevor er nicht hinausging, ließ er sich ums Verrecken keine Jacke anziehen und setzte auch keine Mütze auf. Seine Eltern hegten einen furchtbaren Verdacht und der Vater brachte ihn in die Apotheke, um ihn testen zu lassen. Eine Viertelstunde später hatten sie es schwarz auf weiß: Der kleine Neinrich war negativ. 

Das konnte nun aber nicht ganz stimmen, denn es ging eigentlich auch genauso oft anders herum. Dann sagte er aber nicht etwa „Ja“, sondern „Doch“. Sagte man ihm zum Beispiel, er könne einen bestimmten Gegenstand nicht haben, entgegnete er „Doch!“ Erklärte man ihm geduldig, dass Kinder keinen Kaffee oder kein Bier tränken, so antwortete er „Doch!“ Und gestand man den Tränen nahe und am Ende seiner Kräfte, dass man ihn auf keinen Fall noch weiter tragen könne, so lautete der abschließende Bescheid nur kurz und bündig: „Doch“. „Doch, doch, doch!“ Was aber ohne weitere Vorwarnung und übergangslos wieder in „NEIN! DOCH NICHT!“ umschlagen konnte. Und da der kleine Neinrich nun mal den ch-Laut noch nicht aussprechen konnte, musste er eben „DOK“, sagen, was ihm zusätzlich zu seinem Spitznamen auch noch einen Doktortitel eingebracht hat. 

Den richtigen Namen dieses Jungen wissen wir gar nicht. Vielleicht geht er ja sogar in denselben Kindergarten, wie unser Kind. Wenn ich meinen Sohn mal verstohlen durch ein Fenster bei seiner Eingewöhnung beobachten kann, ist er draußen zwar meistens allein unterwegs, aber er weint nicht mehr dabei. Ich halte es nicht mehr für völlig ausgeschlossen, dass er doch einmal Kontakt zu den anderen Kindern bekommt und dann erfahren wir möglicherweise, wie der kleine Doktor Neinrich wirklich heißt. 

Veröffentlicht in Elternzeit, Kindergarten am 14.03.2022 13:00 Uhr.

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