Zwei Pfiffe

Von Sorgen zerfressen und frierend liegen wir in der zugigen Mansarde. Der Wind bläst die teure Gaswärme durch die löchrigen Wände und an die undichten Fenster trommelt der Regen. In so eine Situation hinein will kein Baby geboren werden, auch unseres nicht. Es liegt noch fest vertäut vor Anker und denkt nicht daran, den sicheren Hafen zu verlassen. Verdenken kann man es ihm nicht und ich weiß nicht sicher zu sagen, ob sich der beschwerliche Weg auch lohnt auf den es sich nun endlich machen soll. Möglicherweise lässt es sich auch ganz gut leben, ohne sich am Ende durch den engen Schlauch zu zwängen und sich mit der Welt, deren Teil man bis dato war, nun als der Mutter konfrontiert zu sehen.
Aber möglicherweise sind wir ja alle Ungeborene, die sich noch nicht auf den Weg gemacht haben. Ja, vielleicht steht uns der enge Schlauch noch bevor, hinter dem die Welt auf uns wartet und wo alle, die uns schon vorausgegangen sind, ohne Zeit und ewig leben. Wer von uns wollte auf dieses ‚Vielleicht‘ hin jetzt schon losgehen, bevor seine Zeit gekommen ist? Und wie sollte man das anstellen und wo geht’s überhaupt lang?
Wie dem auch immer sei, eines lässt sich mit ziemlicher Sicherheit sagen: Geboren werden und sterben sind kritische Lebensereignisse von erheblicher Tragweite. Keines davon sollte man überstürzt oder allein angehen oder gar übers Knie brechen und eine gründliche Vorbereitung ist die halbe Miete. Inzwischen haben wir die Musik angemacht und tanzen. Davon wird uns warm und wir werden wieder fröhlich und immer fröhlicher. Wir tanzen und lachen und mit der wachsenden Fröhlichkeit schrumpfen die Sorgen und schließlich sind sie ganz und gar verschwunden. Und zwei Pfiffe geben Signal und Kommando an unser Baby: Klarmachen zum Anker lichten!
Bildnachweis: Ulf × DALL·E Human & AI
Veröffentlicht in Elternzeit am 19.02.2023 15:50 Uhr.