Die Bahn schlägt zurück

Die Bahn schlägt zurück

Über die Bahn wurden viele Witze gemacht: Ihre vier schlimmsten Feinde, der dumme Sohn, Genuss in vollen Zügen. Jetzt will sie aus der Defensive kommen. Au weia!

Die Bahn will irgendwie aus ihrem Image-Tief heraus. An den Baustellen, Verspätungen und Ausfällen wird sie nichts ändern können, also versucht sie die Flucht nach vorn und droht mit einer „Serviceoffensive“. Bitte nicht! Möge dieser Kelch, wenn es sein kann, an uns vorübergehen! Ich wurde nämlich Zeuge, wie sich das bereits vorhandene Personal offenbar schon mal auf seine neue Aufgabe einschießt: Da kommt man nichtsahnend am frühen Morgen in seinen Zug und erlebt die Zugbegleiterin, die bisher Fahrkarten kontrollierte und einen bestenfalls informierte, dass man seine Anschlüsse nicht erreichen würde, eben jene als lästig, aber vollkommen ungefährlich einsortierte Begleitperson erlebt man also unvermittelt mitten in einem psychologischen Kriseninterventionsgespräch. Die Durchführung erinnerte mich allerdings an meine Musiktherapiestunden nach dem ersten Ausbildungswochenende: Beeindruckt von den ersten Erlebnissen in der Selbsterfahrungsgruppe versuchend, das Erfahrene an die armen „Patienten“ weiterzureichen. Die Begleitperson begann, von sich zu erzählen und ihr neues professionelles Selbstverständnis darzulegen. Es sei ja ihr Job, die Menschen, die in ihren Zug kämen zu verstehen. Das war mir neu. Ich hatte auch mal bei der Bahn gelernt und alles, was wir damals im Zugbegleitdienst verstehen mussten, war vielleicht der Bahnhof, an dem die Fahrgäste aussteigen wollten. Ansonsten machte man sich lieber dünne, wenn man nicht von wütenden Schichtarbeitern verprügelt werden wollte, die wieder mal nicht pünktlich nach Hause kamen, weil eine Weiche nicht funktionierte.

Jetzt sollte der Fahrgast seine Sicht auf die Welt und das Leben erläutern. Die Begleitperson nahm eine aktiv-zuhörende Haltung an. Der Fahrgast sagte, er lehne die Gesellschaft als solche ab. „Aha“ machte die Begleitperson. Ja, meinte der Fahrgast, er könne schließlich nichts dafür, dass er hier hineingeboren sei und nun solle er sich auf einmal an Regeln und Konventionen halten. Das sehe er nicht ein. Aber man müsse doch wenigstens die Gebote der Höflichkeit beachten und zum Beispiel „Guten Morgen“ sagen, hakte die Begleitperson ein. „Wieso denn?“ fragte der Fahrgast. Er wolle ja nichts mit diesem Kollektiv zu tun haben, also müsse er auch keine Regeln beachten. „Au“ machte die Begleitperson, das sei schwer. Das könne sie jetzt doch nicht so ganz verstehen.

Im weiteren Verlauf erfuhr ich, dass der Fahrgast seine Geldbörse, in der sich das Ticket befand, zu Hause vergessen hatte. Dass er jetzt deswegen ein erhöhtes Beförderungsentgeld bezahlen solle, finde er blöd. „Das ärgert dich, hm?“ fragte die Begleitperson. Der Fahrgast bekam Schnappatmung. Ja, sie merke ihm jetzt sogar eine gewisse Gereiztheit an und müsse das Gespräch darum an dieser Stelle beenden. Sie stand ohne neue Terminvereinbarung auf, kam zu mir, kontrollierte meinen Fahrschein und verschwand in der Weitläufigkeit der Erzgebirgsbahn. Offensive heißt Angriff. Die Bahn schlägt zurück. Und wir haben dem nichts, aber auch gar nichts entgegenzusetzen.