Kinder, Garten, Gurken
Eine Hängetomate schlägt aus der Art und ein real existierendes Kind schläft nicht, ruht aber.
Wir bewirtschaften ein kleines Gewächshaus in unserem Garten. Meine wunderbare Frau hat auf der einen Seite zwei Gurkenpflanzen in die von mir gesiebte Komposterde gebracht, die uns viel Freude machen. Auf der anderen Seite stehen die Tomaten. Hier ist nun leider ein Missgeschick passiert, das uns hoffentlich nicht noch Kopf und Kragen kosten wird. Eine der Tomaten nämlich, eine sogenannte Hängetomate, ist ganz offensichtlich aus der Art geschlagen und geradezu wild geworden. Sie trägt so gut wie keine Früchte, wuchert aber weit über den ihr zugewiesenen Platz hinaus und droht, die ordentlichen Tomaten mit ihren Würgeschlingen zu ersticken. Meine wunderbare Frau findet noch nichts weiter dabei, aber ich mache mir Sorgen. Ja, ich fürchte, dass ich über kurz oder lang beim Betreten des Glashauses von der Goldapfelfrucht angefallen werde und handlungs- und bewegungsunfähig zwischen ihren Tentakeln hängen bleibe. Folglich wässere ich die Tomaten nur noch durch die Dachluken des Gewächshauses, aber ich befürchte, dass die Mutante durch eben diese Luken hinauslangen und das ganze Gebäude zwischen ihren fleischigen Fangarmen erquetschen wird. Dann ist es auch mit den Gurken Essig.
Aber so ist das nun mal. Alles Geschaffene strebt von Anbeginn dem Verfall und dem Gewesensein zu, ein Zustand freilich, der sich vom Nichtsein signifikant abhebt, weil ihm nun mal die Existenz vorausgegangen ist, sei sie nun köstlich gewesen oder nicht. Die Existenz unterscheidet sich wiederum von den anderen beiden Zuständen darin, dass sie sich in der Zeit ausbreitet, was ihr so ein „Geschmäckle“ verleiht, wie sie in Stuttgart sagen würden. Welche der drei, Nichtsein, Existenz oder Gewesensein nun vorzuziehen sei, bleibt dem kritischen Leser und der kritischen Leserin überlassen, wobei man fairerweise gleich sagen sollte, dass ein gerechtes Urteil nur von einer Metaebene aus zu fällen wäre, die einzunehmen aus einem der drei Zustände heraus nicht möglich ist.
So kann auch unser real existierendes Kind dieser Frage nicht erschöpfend auf den Grund gehen, so sehr er darüber auch nachsinnen mag. Dass er sich damit beschäftigt, liegt nahe, denn aus dem Kindergarten wird berichtet, er würde mittags nicht schlafen, sondern nur ruhen. Sein Geist ruht mit Sicherheit nicht, sondern versucht zweifellos, diese letzten Fragen zu ergründen, was ihm freilich nicht gelingen kann, da der Geist selbst der Grund ist und dem Erkennen des Selbst nun mal unverrückbare Grenzen gesetzt sind. Aber das muss er schon irgendwann alleine herausfinden. Bis es soweit ist, freuen wir uns, dass mich die Tomate noch nicht erwischt hat und essen unsere Gurken.