Noch lange nicht fertig

Noch lange nicht fertig

Es gibt ein einfaches Mittel gegen zu viele Aufgaben: Noch mehr Aufgaben.

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Früher war mein Leben einfach. Ich musste an fünf Tagen in der Woche zur Arbeit (Teilzeit!) und irgendwie einen kleinen Haushalt bewältigen: einkaufen, Müll wegtragen, abwaschen, zweimal im Jahr staubsaugen. Keine große Sache. Trotzdem wäre ich manchmal fast zusammengebrochen und hatte schon erwogen, mich beim Schwarzfahren erwischen zu lassen, um wenigstens ein paar Monate in einer Haftanstalt ausspannen zu können. Zu meinem großen Glück traf ich eine Gefährtin und Wegbegleiterin, die mich heiratete, bevor ich mich vollends ins Unglück stürzen konnte. Wir bekamen ein Kind. Das will nun betreut und gepflegt werden, es ist mehr Müll wegzutragen, es muss für drei eingekauft werden, ein Geschirrspüler muss ein- und ausgeräumt und eine viel größere Wohnung gestaubsaugt werden. Wer allerdings meine Frau kennt, kann sich denken, dass für mich nicht mehr viel Aufgaben übrig bleiben, wenn sie in der Nähe ist. Wenn ich losgehe, den Müll runterzutragen, kommt sie schon wieder zurück, bevor ich am ersten Eimer angekommen bin. Während ich überlege, in welchem Zimmer ich zuerst sauge, ist sie schon im letzten angekommen und macht damit nebenher noch unser Kind glücklich. Sie ist einfach zu schnell.

Aber was soll’s? Es geht im Leben nicht um Geschwindigkeit. Unser Planet fliegt mit mehr als 100 000 km/h um die Sonne und dreht sich dabei mit mehr als 1000 km/h um sich selbst. Das reicht doch. Eigentlich könnte man den ganzen Tag einfach nur still sitzen bleiben und wäre immer noch schnell genug unterwegs. Die traurige Wahrheit ist: Das Leben wird dadurch nicht leichter. Es bliebe nur ärmer. Mit jeder neuen Aufgabe, vorausgesetzt, es ist die richtige, wird es reicher.

Also gehe ich wieder an fünf Tagen in der Woche arbeiten (Teilzeit!) und kümmere mich dort um neue Aufgaben. Außerdem haben wir jetzt noch einen Garten und meine Frau hat Tomaten, Gurken und Sonnenblumen gepflanzt. Wir müssen gießen, Rasen mähen, umgraben, Gartenabfälle einsammeln und entsorgen und eigentlich auch noch einen Bungalow renovieren. Wir sind dran, einer langsam, die andere schnell. Was wir in diesem Jahr nicht schaffen, machen wir im vielleicht nächsten Jahr. Und wenn uns alles doch ein bisschen über den Kopf wächst – dann suchen wir uns einfach noch mehr Aufgaben. Wir sind noch nicht fertig. Noch lange nicht!