Orpheus III

Zweimal bereits bin ich der Geschichte von Orpheus begegnet und jedes Mal wurde ihre Bedeutung für mich klarer. Am vergangenen Wochenende begegnete ich ihr ein drittes Mal und wieder scheint sich ein Nebel zu lichten. (Repost vom 18.10.2018)

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Kalliope, eine der neun Musen, die Schönstimmige, hatte zwei Söhne. Einer von ihnen war Orpheus. Er wuchs in der Obhut der Musen heran und bekam von Apollon eine Lyra geschenkt. Er verstand es auf das Wunderbarste, die Worte zu setzen oder Melodien zu ersinnen, aber wenn er sang, dann blieb die Welt stehen. Stets war er umgeben von Tieren und Kindern, von Männern und natürlich auch von Frauen, die hingebungsvoll seinem Gesang lauschten. Aber weder Frauen, noch Männer bedeuteten ihm irgendetwas. Er kannte die Sehnsucht nicht, ruhte in sich selbst und lebte nur seiner göttlichen Gabe. Bis zu dem Tag, an dem er Eurydike traf. Eurydike war eine Dryade, eine der Nymphen, die den Wald und die Bäume bewohnen. Sie war von außergewöhnlicher Schönheit und um Orpheus war es geschehen. Er hielt um ihre Hand an und sie zierte sich keinen Augenblick und sagte „ja“.

Aber dann starb Eurydike an einem Schlangenbiss. Orpheus war untröstlich und machte sich auf den Weg in die Unterwelt, um Eurydike zurückzuholen. Kein Sterblicher hatte das jemals gewagt. Aber seine Demut und sein überirdischer Klagegesang veränderte die Abläufe in der Unterwelt und selbst Hades und Persephone wurden zu Tränen gerührt. Sie erlaubten Orpheus, Eurydike wieder in die Welt der Lebenden zu führen. Allerdings müsse er vorausgehen und dürfe sich nicht nach ihr umsehen, bis sie das Tageslicht erreicht hätten. Als sie den schwierigen und beschwerlichen Weg zurück schon fast geschafft hatten, drehte sich Orpheus um und sah Eurydike an. Er sah sie zum letzten Mal: Augenblicklich wurde sie in die Unterwelt zurück gerissen und nichts und niemand konnte sie mehr befreien.

Orpheus hatte durch sein Unglück seine Handlungsfähigkeit nach vorne verloren. Er blickte zurück und suchte sein Heil im Vergangenen. Und sah es zunächst tatsächlich danach aus, als könnte er es dort finden, so musste er doch scheitern. Selbst Hades, der Verwalter und Verschließer alles Vergangenen, schien nachzugeben. Aber damit es gelänge, die Vergangenheit ungeschehen zu machen und Eurydike wieder ins Leben zu führen, hätte er die Vergangenheit, der Eurydike ja angehörte, ruhen und hinter sich – und damit Eurydike zurück lassen müssen. Ein teuflischer Widerspruch, der nicht aufzulösen war.

Glück oder Unglück liegen eben nicht darin, was uns widerfährt, sondern darin, ob wir handlungsfähig bleiben.